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Bocas del Toro – großartig “loco”

„Bocas del Toro kann man lieben oder hassen“, so hatte ich es bei meinen Recherchen vor der Reise gelesen. Für mich steht fest – ich liebe es. Und das nicht, weil es so perfekt ist. Perfekt ist meist ohnehin eher langweilig. Sondern eben genau wegen seiner Ecken und Kanten. Diesem ungeschliffenen, spröden und leicht morbiden Charme, der in scharfem Kontrast zur nahezu makellosen Naturschönheit des Inselarchipels und der Lebensfreude der Menschen dort steht.

Strahlend gelb, schreiend pink und zart blau hängen die Pfahlbauten von Bocas del Toro wie reifes Obst über dem Wasser. Von den auf das Meer hinausgebauten Terrassen und Veranden schallt der fröhliche Sound karibischer Merengue-Rhythmen herüber und mischt sich mit den minimalistischen Reggae-Beats der benachbarten Restaurants.

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Bereits die halbstündige Überfahrt auf die Isla Colón, Hauptinsel des Archipels, und etwa so groß wie Norderney, ist ein einziges Wechselspiel der Farben. Kaum ist die Hafenausfahrt passiert, verschwinden die ärmlichen Behausungen rund um das schlammige Uferbecken von Almirante mit seinen Braun- und Grautönen und machen smaragdgrünen Mangrovenwäldern Platz. Die Wasserstraße öffnet sich bald auf die Weite des Ozeans, und das Speedboot rast mit immer höherem Tempo durch das typisch karibische Farbspiel von Azurblau bis leuchtend Türkis.

Kurz darauf legt das Wassertaxi am Bootsanleger von Bocas del Toro an. Betont langsam recken sich die Köpfe auf den benachbarten Restaurant- und Barstegen und werfen einen scheinbar gelangweilten Blick auf die Neuankömmlinge, die mit ihren Backpacks aus dem schwankenden Fiberglasrumpf an Land klettern. Wenig später stehen wir auf der bunten Hauptstraße von Bocas und haben erst einmal Hunger. Morgens um acht sind wir im nur gut 200 km entfernten Boquete aufgebrochen. Mittlerweile ist es später Nachmittag, und die paar Kekse und Chips aus dem Bus sind längst vergessen.

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Von Boquete nach Bocas del Toro

Da es von Boquete aus keine direkte Busverbindung nach Almirante, dem Ableger der Wassertaxis in Richtung Bocas, gibt müssen wir zunächst zurück zum Busterminal der Provinzhauptstadt David. Diesmal haben wir mit dem Bus nicht ganz so viel Glück. Er ist alt und klapprig, und von den Abständen der Sitzreihen könnten sich die Ausstatter innerasiatischer Kleinflugzeuge noch eine Scheibe abschneiden. Immerhin hat er, im Gegensatz zu den noch kleineren Modellen, eine Klimaanlage – bei fast 40 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von gut 90 Prozent ein tolles Feature. Zumindest wenn sie eingeschaltet wäre. Schon wenige Meter nach der Ausfahrt aus dem Busbahnhof öffnet der mitfahrende Kassierer die beiden Dachluken einen Spalt weit, und heiße Luft strömt wie unter einem Föhnstrahl herein. Die Klimaanlage wird abgeschaltet. Dafür kommt jetzt das Soundsystem zum Einsatz. Bis zur Ankunft fünf Stunden später werden uns panamaische Ska-Rhythmen begleiten, unterbrochen nur von dem einen oder anderen atemlos hysterischen Wortschwall spanischsprachiger Radiowerbung.

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Schon bald erreichen wir die ersten Ausläufer der Cordillera Central, die sich als Wasserscheide zwischen dem Pazifik und dem Atlantik einmal quer durch das Land zieht. Es zeigt sich, dass der übervoll beladene Bus dem altersschwachen Motor das äußerste abverlangt. Stellenweise kriecht er die Bergstraßen so langsam herauf, dass ein Fußgänger locker daran vorbeiziehen würde. Dafür kühlt mit zunehmender Höhe die Luft deutlich ab, und die Temperaturen im Bus werden erträglich. Außer uns scheint das aber keiner so wahrzunehmen, und die Mitreisenden Panameños beeilen sich, die Fenster zu schließen.

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Während ich noch fasziniert darüber nachdenke, warum in diesem Land alle öffentlichen Restaurants und Einrichtungen auf maximal 15 Grad herunter gekühlt werden, wenn doch gleichzeitig alle im Bus Anwesenden scheinbar eine kuschelige Waschküchentemperatur bevorzugen, zieht draußen die leuchtend grüne Urwaldvegetation vorbei und hüllt sich, je höher wir kommen, in dichte Nebelschwaden. Auf der Atlantikseite dann verzieht sich der Nebel. Bananenplantagen wechseln sich mit wild wucherndem Grün ab, und immer wieder stehen kleine Dörfer am Straßenrand, in deren klapprigen, auf Stelzen gebauten Hütten die indigene Bevölkerung unter einfachsten Bedingungen lebt.

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Fünf Stunden später erreichen wir dann Almirante. Dass dies kein Ort zum Verweilen ist, wussten wir schon vorher. Von hier aus verschifft die United Fruit Company ihre Ladungen großer, noch grüner Chiquita-Bananenstauden in Richtung der Reifereien in Europa. Bis vor einigen Jahren hatte Almirante keinerlei Straßenverbindung zum Rest Panamas und wurde nur per Fähren über den Rio Changuinola und von den Bananenfrachtzügen angefahren. Mittlerweile ist der kleine Hafen zum Drehpunkt für den Wassertaxiverkehr nach Bocas del Toro geworden. Auf die Stadt hat das aber bisher nicht abgefärbt. Wer das letzte Wassertaxi verpasst, sollte nach Möglichkeit im gut 20 Kilometer entfernten Changuinola nach einer Unterkunft suchen.

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Wir verpassen es nicht – auch wenn wir eine Weile warten müssen. Alle 20 Minuten taucht eines der kleinen Speedboote in der Hafeneinfahrt auf. Dann werden die Namen derer verlesen, die dieses Mal mitfahren dürfen, und während die Einheimischen ihre Einkäufe und Kartons an Bord verstauen, hieven die Backpacker und Urlauber ihre Rucksäcke und Taschen in die kleine Nussschale mit überdimensioniertem Außenborder. Kurz darauf röhrt der Motor auf, das Boot schießt an den Wohnbaracken entlang der Wasserkante vorbei und hat kurz darauf das offene Meer erreicht.

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Bocas del Toro, Isla Colón

Der Archipel von Bocas del Toro besteht aus rund 70 Inseln, auf deren Hauptinsel Colón die Provinzhauptstadt angesiedelt ist, und die ebenfalls Bocas del Toro heisst. Noch vor gut 10 Jahren war kleine Ort vor allem ein Überbleibsel aus den Glanzzeiten der Bananenindustrie. Mit dem Weggang der United Fruit Company verfiel Bocas in einen langen Dornröschenschlaf, aus dem es erst seit wenigen Jahren erwacht. Es ist gar nicht so lange her, dass man noch die alten Männer in ihren Schaukelstühlen auf der Veranda antreffen konnte, von wo aus sie den gemächlichen Gang des Dorflebens beobachteten. Das einzige Hotel der Insel, das sich in der verlassenen Zentrale der Fruit Company einquartiert hatte, verzeichnete wenige Gäste, und die bunten Holzbauten entlang der Hauptstraße wurden nur noch von ihren Farbschichten zusammen gehalten. So erzählt es mir Kris, die Betreiberin unseres kleinen B&B. Dann entdeckten die ersten Aussteiger die paradiesischen Inseln und begannen mit dem Bau von Hostels und Bars. Kurz darauf folgten die Backpacker.

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Von den ruhigen Zeiten von damals ist heute nicht mehr viel zu spüren. Zwar werden einige der kolonial anmutenden Gebäude noch immer nur mittels großer Mengen Lack am Zusammensturz gehindert, aber ansonsten ist Bocas ein sprühender Ort voller Lebensfreude. Backpacker aus aller Welt, alteingesessene Aussteiger und jugendliche Neuankömmlinge bevölkern die Straßen, ebenso wie Urlauber der panamaischen Mittelschicht. Sie alle genießen die bunte Kultur, die von den Nachfahren der karibischen Plantagenarbeiter ebenso geprägt ist, wie von den Latinos und Chinesen, die sich hier Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge des Bananen-Goldrausches niederließen und von der indigenen Urbevölkerung.

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Gemeinsam mit den Neueinwohnern haben sie einen wilden und farbenfrohen Mix geschaffen. Da reihen sich kreolische, asiatische, indische und italienische Restaurants in bunten Holzhütten aneinander, Läden und Strassenstände verkaufen vom Sarong über Sonnenbrillen, TShirts und Reggae-CDs alles, was sich vermeintlich an den Urlauber bringen lässt, Streetfood-Stände locken mit gegrillten Fleischspießen und frisch pürierten Fruchtsäften, und dazwischen bauen die Guaymí-Frauen ihre Handarbeitsstände mit geknüpften Armbändern und handbestickten Taschen auf. Fahrräder, Quads und Motorroller warten auf ihre Mieter, und diverse Touranbieter offerieren Schnorchelausflüge, Segeltrips und Tauchkurse.

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Ruhiger geht es dagegen bereits eine Häuserzeile hinter der Unterhaltungsmeile zu, zumindest tagsüber. Hier lebt überwiegend die karibische Bevölkerung. Nachbarn stehen auf der Straße und halten einen Plausch ab, Kinder rennen spielend umher, und alles geht einen ruhigen, an die tropische Hitze angepassten, Gang. Am Abend jedoch werden die Boxen auf die Veranda geräumt, und große Trauben von Jugendlichen versammeln sich zu den laut hämmernden Bässen amerikanischer Rapsongs, die durch die Gassen hallen.

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Während ganz Bocas tagsüber noch recht verlassen da liegt, erwacht das Städtchen gegen 16 Uhr zum Leben. Immer mehr Traveler kommen von ihren Tagestrips zurück und relaxen auf den über das Wasser gebauten Veranden der Cafés und Hostels. Sobald es dunkel wird, füllen sich die Bars, Kneipen und Restaurants. Die Supermärkte haben bis spät in die Nacht geöffnet, und viele erledigen jetzt, wenn es kühler ist, ihre Einkäufe. Die einheimischen Kids sind mit Skateboards und Fahrrädern entlang der Hauptstraße unterwegs. Alles ist auf den Beinen, man trifft Bekannte und Freunde und hält hier und da zu einem kurzen Gespräch an. Und zwischen allem schiebt sich ein bunter Mix von Reisenden hindurch. Feierwütige Kurzurlauber aus den USA, Rucksackreisende aus Europa, Einwanderer und Auswanderer aus fast allen Ländern der Welt, Familien samt Oma und Enkel aus Panama-City und sogar der eine oder andere verirrte Pauschaltourist, der irgendwas an der Reisebeschreibung falsch verstanden hatte und jetzt mit leicht entsetztem Blick über die Abwasserrinnen am Straßenrand balanciert.

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Bocas del Toro ist schwer in Worte zu fassen. Die ganze Stadt ist ein bisschen “loco” (verrückt) – in etwa so wie die Radfahrerin, die dort, eine Wasserflasche auf dem Kopf balancierend, seit Jahren zu fast jeder Tageszeit die Hauptstraße auf und ab radelt. Bocas lebt definitiv vom Charme des Unperfekten, und ich hätte es nur zu gerne schon vor 15 Jahren gesehen, als die ersten Aussteiger hier an Land gingen. Aber auch so, wie es jetzt ist, macht dieser unfertige Ort einfach Spaß. So sehr ich den Menschen dort, die dringend vom Tourismus abhängig sind, die Entwicklung ihrer Inseln wünsche, so sehr wünsche ich mir zugleich, dass Bocas bleiben kann, wie es ist.

Weiter zu Bocas del Toro Teil 2 – Best of Bocas 



There are 2 comments

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  1. Elisa

    Hallo Claudia,

    es freut mich wirklich sehr diesen Beitrag zu lesen, da mir das Fernweh plagt. Ich war vor einiger Zeit in Costa Rica und entdecke auf deinen Bildern das besondere Gefühl wieder, das ich in Costa Rica hatte. Das karibische Flair, die Musik und vor allem die lebensfrohen Menschen machten die Zeit für mich unvergesslich. Leider hatte ich es nicht für Bocas del Torre gereicht, aber nach deinem Beitrag will ich gleich Koffer packen und los. Ganz liebe Grüße schicke ich dir aus Schabs. Weiter so!


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