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Südtirol pur am Fuße von Gitschberg und Jochtal

Weite Felder, traditionelle Bauernhöfe, samtgrün in der Sonne liegende Almwiesen, funkelnde Bäche und ein Leben im Einklang mit der Natur. In der Almenregion Gitschberg-Jochtal finden Besucher das pure und reine Südtirol.

Quietschend hebt sich der Riegel des Tors. Dahinter ertönt ein wildes Scharren und Meckern. Ein weißer Kopf nach dem anderen schiebt sich neugierig durch das Gestänge zur Stallmitte, rosa Nasen werden in die Höhe gereckt und ein paar Dutzend Augenpaare schauen erwartungsvoll auf die Besucher. Während ich mindestens genauso neugierig zurückschaue, sind die Kids schon mit Begeisterungsrufen zwischen den Heuballen verschwunden. „Mama darf man die streicheln?“ Ich atme den Geruch ein. Ja, es riecht definitiv nach Ziege. Und es riecht nach Natur, Ursprünglichkeit und Ruhe. Hat Ruhe einen Geruch? Wenn ja, dann muss es dieser sein.

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Spezialitäten direkt vom Hof auf den Tisch

Nur wenige Stunden zuvor haben wir auf dem Bauernmarkt in Mühlbach/Rio di Pusteria gestanden und uns durch die verschiedenen regionalen Spezialitäten getestet, so auch die diversen Sorten Ziegenkäse aus der hofeigenen Käserei. Eine leckerer als die andere. Richard Zingerle, der Besitzer der Ziegenherde, hat uns spontan direkt von der Käseprobe auf seinen Hof eingeladen, um uns zu zeigen, wo die köstlichen Stücke herkommen. Und so stehen wir jetzt hier auf dem Unteregger-Hof, am Rande des Örtchens Vals, das hoch oben am Fuße des Jochtals, eingebettet zwischen grünen Berghängen und saftigen Wiesen, in der Almenregion Gitschberg-Jochtal in Südtirol liegt.

Meransen und die Almenregion

Am Tag zuvor sind wir angekommen. Steil windet sich die Straße von Mühlbach am Talboden zu den höher gelegenen Orten herauf. Folgt man ihr bis zum Ende, erreicht man das auf 1.414 Metern gelegene Streudorf Meransen (ital. Maranza), das neben seinen ca. 850 Einwohnern vor allem viele Urlauber und Freizeitsportler anzieht. Hier, auf einer weitläufigen Gebirgsterrasse unterhalb des Gitschbergs, erstreckt sich ein riesiges Wander- und Skigebiet. Eine Vielzahl von Unterkünften, vom Bauernhof-Appartement bis zum 4-Sterne-Hotel, direkt an den Wegen und Pisten gelegen, wartet mit großer Gastfreundschaft und atemberaubender Natur auf die Besucher.

Urlaub auf dem Bauernhof

Mit Kindern bietet sich besonders der Urlaub auf dem Bauernhof an. Geräumige Wohnungen, jede Menge Tiere und ganz viel Platz zum Spielen und Toben, warten auf die jüngsten Gäste. Der romantische und gleichzeitig moderne Walderhof, in dem sich unser Appartement befindet, liegt ganz am oberen Ende der Ortschaft, kurz vor dem Eingang ins Altfasstal.

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Die Gastgeber, Familie Hinterlechner, sorgen dafür, dass sich der Gast sofort zu Hause fühlt. Liebevoll dekoriert lädt der Platz vor dem Hof zum Relaxen ein. Der große Holztisch direkt vor unseren Fenstern wird in den nächsten Tagen mein Lieblingsplatz. Von hier aus schweift der Blick über den, vor Blumen, Kräutern und Gemüse fast überbordenden, Bauerngarten und die Hänge der gegenüberliegenden Berge. Der Weitblick vom Hof ist fantastisch. Unten im Tal funkelt die Rienz, die sich hier, am Übergang des Eisacktals ins Pustertal, zum Mühlbacher Stausee sammelt. Sanft schaukeln die Gondeln der Bergbahn aus dem Ortszentrum Mühlbachs herauf und verteilen die Wanderurlauber auf die umliegenden Berghänge oder per Seilbahn weiter hoch in Richtung des in 2.510 Metern Höhe gelegenen Gipfels des Gitschbergs.

So schmeckt der Sommer

Überall im Gebiet finden sich gemütliche und traditionelle Hütten. Wer möchte, kann auf dem Hüttenrundweg entlang des Gitschbergs von einer Einkehr zur nächsten wandern. Für lauffaule Kinder, wie die meinen, bietet sich die Schummelroute an. Mit der Bergbahn geht es direkt vom Ortszentrum Meransens hinauf bis zur Bergstation Gitschberg. Zu Fuß kann man dann in Richtung der Mittelstation hinunter spazieren.

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Kühe grasen auf den blühenden Wiesen, die sich zum weiten Ausblick Richtung Tal öffnen. Heidelbeeren wachsen wild entlang des Wegesrandes und versüßen den Kindern den Fußweg. Auf halben Weg wartet dann die Pichlerhütte. Köstliche Südtiroler Spezialitäten, ein fantastischer Kaiserschmarrn und ein Spielplatz sorgen dafür, dass auch der skeptische Nachwuchs Spaß an der Wanderung findet.

Leben im Einklang mit der Natur

Ein bisschen anspruchsvoller ist da schon die Höfewanderung im benachbarten Pfunderer Tal. Gut ausgeschildert, kann sie jeder allein begehen. Interessanter ist aber die geführte Variante, die von der Tourismusorganisation angeboten wird. Mit der Almencard, die bei vielen Unterkunftsbetrieben bereits als Zusatz im Übernachtungspreis inkludiert ist, ist sie sogar kostenlos.

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Ein bisschen skeptisch bin ich zunächst, als ich das Programm lese. „Dauer: 4 Stunden“, steht da. Ob mein Kurzer, eigentlich Meister darin bereits nach fünf Minuten Fußwegs ausführlich zu jammern, das mitmachen wird? Aber das Thema lockt sehr. Im Pfunderer Tal gibt es noch viele traditionelle Bauernhöfe, die Almwiesen werden bis weit in die Höhe hinauf bewirtschaftet. Gemeinsam mit der Wanderführerin Waltraud Niederkofler hat man hier die Möglichkeit die Kultur der Region zu erkunden und auf Entdeckungsreise in ein entschleunigtes Leben zu gehen. An einem Morgen um 10.30 Uhr treffen wir uns am Sportplatz in Pfunders mit Waltraud und den anderen Teilnehmern.

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Der erste Fußweg ist machbar. Es geht knapp 10 Meter über die Straße. Direkt vis-à-vis des Treffpunkts steht der Parthhof. Erst vor wenigen Jahren haben die Besitzer ihn gegen die benachbarten, neu gebauten Gebäude eingetauscht. Im Inneren haben sie alles so belassen, wie schon seit Generationen genutzt und gelebt. Hier wird auch für die Kinder Südtiroler Tradition und Geschichte erlebbar. Gespannt folgen sie Waltrauds Ausführungen zum harten und einfachen Leben rund um den Stubenofen. Fasziniert betrachten sie das hoch an der Wand montierte Brotgestell, in dem die halbjährlich gebackenen Laibe sicher vor Mäusen und anderem Ungeziefer aufbewahrt wurden. In der Räucherküche streichen sie über die rußgeschwärzten Wände und versuchen vergeblich, den mannshohen Stößel für die Mohnsamen anzuheben, nur um kurz darauf fasziniert die Flachsstängel durch ihre Finger gleiten zu lassen und das daraus gewebte Tuch zu betasten.

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Dann geht es weiter durch das Tal hinauf zum Pichlerhof. Der Himmel ist an diesem Tag leider wolkenverhangen und es regnet leicht. Unterwegs hat der Junior auch noch einen Zusammenstoß mit einer Brennnessel. Normalerweise wäre die Wanderung damit unter dramatischem Gejammer zu Ende gegangen. Nicht so hier. Fröhlich werden Wetter und Brennen ignoriert und gemeinsam mit Waltraud am Wegesrand nach Heilkräutern gesucht gesucht. Ein paar Blätter zerrieben auf die lädierten Hautstellen, dazu ein paar süße, wild wachsende Himbeeren, und der Junior kann wieder lachen. Angekommen auf dem Pichlerhof werden dann erst mal Brot, Milch und Speck serviert. Und während die ganze Gruppe zufrieden vor sich hin isst, lauschen alle den Erzählungen der Bäuerin zu ihrem immer noch sehr ursprünglich anmutenden Leben. Besonders fasziniert ist die Große von der Tatsache, dass der 14-jährige Sohn der Familie die Sommermonate fast alleine auf der Alm verbringt, hoch oben in den Bergen das Vieh versorgt und sich um die Wiesen kümmert. Während gleichaltrige Stadtkids einen Tag ohne Computer und Facebook wohl als unerträgliche Zumutung empfinden würden, ist das hier ganz selbstverständlich.

Facettenreiches Südtirol

Südtirol ist schon länger meine Lieblingsregion, wenn es in die Berge geht. Im Gegensatz zu vielen Orten in den nördlichen Alpen hat man sich hier, am südliche Alpenrand und in den Dolomiten, die Ursprünglichkeit und unverbaute Naturschönheit bewahrt und Modernes gefühlvoll hinzugefügt. Auch Tradition lebt hier noch und wird gelebt. Südtirol ist gleichzeitig bekannt und fremd. Aus München kommend, erkennt man viel des bajuwarischen Brauchtums wieder. Gleichzeitig mischen sich unverkennbar italienische Einflüsse in die Lebensart. Und auch wenn die Südtiroler nicht allzu begeistert von ihrer italienischen Zugehörigkeit sind – zumindest die Küche hat von der Nähe Italiens sehr profitiert. Während ganz Südtirol diese facettenreiche Mischung aus Natürlichkeit, echter Gastfreundschaft, stilvoller Moderne und Traditionsverbundenheit widerspiegelt, ist gerade in den Tälern rund um Gitschberg und Jochtal der Schritt vom Bauerntum zur modernen Tourismusdestination besonders gut gelungen. Beides existiert eng nebeneinander. Fast alle im Gastbereich Tätigen betreiben zusätzlich noch die von Generation zu Generation vererbten Höfe. Die Orte sind klein. Man kennt sich. Und der Tourist hat das Gefühl, eine Reise zurück in die Vergangenheit unternehmen zu können, verbunden mit allem angenehmen Komfort der Moderne.

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Erholung pur

Zurück auf „unserem“ Hof geht es dann direkt in den Stall. Es ist früher Abend und die Kühe werden gemolken. Erst ein bisschen unsicher (man weiß ja schließlich nicht, wie weit so ein Kuhschwanz ausschlagen kann) dann immer mutiger, verfolgt der Junior die Arbeitsschritte. Mit großer Geduld zeigt Herr Hinterlechner ihm alles und beantwortet die unzähligen Fragen. Bereits am zweiten Abend ist der Kurze zur Melkzeit unabkömmlich im Stall verschwunden.

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Wanderungen, Bauernhöfe, Käsereien, Museen, Tiere und Natur – es gibt unglaublich viel zu Entdecken in der Region. Mit all diesen Erlebnissen vergeht die Zeit am Gitschberg wie im Flug und der letzte Tag kommt viel zu schnell. Eine Woche war ich mit den Kids alleine unterwegs, da der Papa leider im Büro gebraucht wurde und nicht dabei sein konnte. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich danach erst mal Urlaub vom Urlaub benötigen würde. Das Gegenteil war der Fall. Selten habe ich unsere Kinder so ausgeglichen und entspannt erlebt wie in den Tagen auf der Gitschbergalm. Dank jeder Menge frischer Luft, spannender Erlebnisse und Natur satt, fallen sie jeden Abend erschöpft und glücklich ins Bett, nur um am nächsten Morgen gespannt aufzuwachen und nach dem nächsten Abenteuer zu fragen.

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Almwiesen wie grüner Samt

Für den letzten Tag haben wir uns daher noch etwas ganz Besonderes aufgehoben. Das Ziel ist das Almendorf Fane Alm. Die Fane Alm gilt als das schönste Almdorf Südtirols. Hoch oben im Valsertal gelegen, eingebettet in eine einmalige Berg- und Naturkulisse, warten Heuhütten, Wohnhütten und eine kleine Kirche auf die Besucher. Drei idyllische Almschenken bieten den idealen Ausgangs- oder Endpunkt für schöne Wanderungen durch die ursprüngliche Bergwelt. Ganz besonders zu empfehlen ist der Besuch der Gattererhütte. Martha Gatterer verwöhnt ihre Gäste hier mit dem Besten, was die Südtiroler Küche herzugeben hat. Legendär sind ihre Knödelgerichte. Mit Kindern ist besonders die Terrasse auf der hinteren Seite der Hütte empfehlenswert. Direkt unterhalb gibt es Schaukeln und eine kleine Kletterhütte. Kaum ist der Kaiserschmarrn aufgegessen, macht sich der Nachwuchs begeistert auf dem Weg zum Toben und Kraxeln.

Ich genieße derweilen den atemberaubend schönen Blick auf die steil aufsteigenden, samtig-grünen Almwiesen, lausche dem Läuten der Kuhglocken, unterbrochen nur vom Rauschen des Bachs und dem Summen der Bienen, und möchte am liebsten gar nicht mehr gehen. So viele schöne Bilder, so viele Erlebnisse, so viel Ruhe, so viel Entspannung. Und das nach einer Woche Urlaub mit den Kindern alleine. Selten habe ich mich so relaxt gefühlt, während die Kids so viel Action und Spaß hatten. Dann greife ich zum Smartphone, das hier oben erfreulicherweise keinen Empfang hat. Zum ersten Mal seit einer Woche öffne ich den Kalender – auf der Suche nach einem Termin zum Wiederkommen.

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  1. Vierundzwanzig Stunden Skiurlaub | Fernweh mit Kids

    […] Gitschberg Jochtal ist mit dem Auto nur 2 ½ Stunden von München entfernt. Bereits kurz hinter dem Brenner erreicht man die Einfahrt ins Pustertal. Auch per Zug ist die Region gut erreichbar. Die Brennerbahnlinie hält wenige Kilometer entfernt in Franzensfeste. Von dort ist es nur eine Haltestelle mit der regionalen Bahn bis nach Mühlbach. Das Skigebiet ist extrem familienfreundlich. Mehr zur Region findet ihr hier auf dem Blog: Geheimtipp am Eingang des Pustertals und Südtirol pur am Fuße von Gitschberg und Jochtal […]


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