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Phnom Penh – Roher Charme und große Liebe

Phnom Penh ist eine Herausforderung. Nicht nur für Reisende mit Kindern. Nimmt man sich Zeit für die Stadt mit dem sehr speziellem Charme, kann eine echte Liebe daraus werden.

Ich reise nicht gerne ab. Schon gar nicht von Orten, die ich mag. Meist erwischt mich dann ganz heftig der Abschiedsblues. Das ist schon seit meiner Kindheit so. Damals habe ich eine Lösung gefunden, die ich bis heute nutze. Ich erinnere mich noch gut, wie ich oft die tränennasse Nase ans Flugzeugfenster presste und mir im Rhythmus der schneller und schneller neben der Startbahn vorbeiziehenden Landschaft sagte, dass ich ganz sicher wiederkommen werde.

Tatsächlich gemacht habe ich das selten. Früher, weil meine Eltern die nächste Reise planten. Und heute, weil ich sie nur allzu gut verstehen kann. Zu groß ist die Welt, zu viele spannende und unbekannte Orte gibt es da draußen. Da ist gefühlt wenig Zeit für Wiederholungen. Aber ein paar Plätze auf der Welt, die lassen mich einfach nicht mehr los. So ein Ort ist Phnom Penh.

Liebe braucht Zeit

Anscheinend ist das vererbbar. Und ganz offensichtlich macht Phnom Penh einen besonders anfällig für solche Gefühle. Denn meinen Kindern geht es inzwischen genauso. Wann immer wir in der Region sind, betteln sie regelrecht um einen Besuch in der Stadt am Tonle Sap. Und ich kann selten widerstehen.

Was die Magie dieser Stadt am Zufluss des Mekong ausmacht, ist schwer in Worte zu fassen. Und nicht wenige werden mir beim Wort ‚Magie’ widersprechen. Phnom Penh ist einer dieser Orte, die man entweder hassen oder lieben kann. Für die Liebe braucht es vor allem eins: ein bisschen Zeit.

Die meisten Kambodscha-Reisenden besuchen die Stadt auf ihrem Weg nach Siem Reap oder Sihanoukville. Als Hauptstadt und mit einem internationalen Flughafen ausgestattet, dient sie Touristen als Drehscheibe in die anderen Teile des Landes. Viele geben ihr nach einem Blick in den Reiseführer genau einen Tag. Der muss reichen für die recht übersichtliche Liste der Sehenswürdigkeiten. Ein kurzer Rundgang durch den Königspalast, die Silberpagode, Wat Phnom und das Nationalmuseum. Und dann natürlich die Killing Fields oder das S21, nach deren Besuch der durchschnittliche Reisende komplett bedient ist und die Erinnerungen und Gedanken bei ein paar Drinks auf der Terrasse des Foreign Correspondents Club im Cocktailglas versenkt.

Wer sich auf diese Weise Phnom Penh nähert, wird die Stadt verpassen. Nichts gegen den FCC. Der Ausblick auf die abendliche Corniche ist definitiv einen Besuch Wert und auch ich verlasse die Stadt ungerne, ohne ein paar Stunden an der Balustrade verbracht zu haben.

Gerecht wird man dieser besonderen Stadt, an der Grenze zwischen Aufbruch und Tradition, einstige moderne Perle Südostasiens und geschunden durch die tragische Geschichte ihres Landes, die heute noch etwas unsicher aber mit ganz viel Zuversicht den Weg in ein neues Kapitel sucht, in der Künstler, Galerien und Entrepreneure plötzlich wieder ganz so wie früher den Ton angeben, auf diese Weise nicht.

Die Narben des Kolonialismus

Früher habe ich oft gesagt ich sei Südostasien-Fan. Nach vielen Reisen in die Region habe ich festgestellt, dass das so gar nicht stimmt. Was mich eigentlich begeistert, das ist der Geist des alten Indochinas. Die Welt von Graham Greene und Marguerite Duras. Diese Welt gibt es nicht mehr – und das ist auch gut so. Der Kolonialismus hat tiefe Spuren in den Seelen der Länder hinterlassen. Kambodscha, Laos, Vietnam – meist wuchsen sich die Wunden im Zuge der politischen Folgen zu gewaltigen Verletzungen und Narben aus, mutwillig oder auch gezielt verursacht, von den Besatzungsmächten und ihren Stellvertreterkriegen. Was geblieben ist, das ist in erster Linie ein Mythos, flankiert von den Fassaden der Kolonialarchitektur, die heute in Phnom Penh wieder stylishe Boulangerien mit den typischen langen Gebäckstangen beherbergen und die vor allem von Expats und Touristen bevölkert werden.

Was neu hinzugekommen ist, das ist eine Atmosphäre des Aufbruchs und Enthusiasmus. Da ist zu einem die Bevölkerung, die nach vielen Jahren sozialistischer, kommunistischer oder einfach nur Schreckensherrschaft den Weg in eine neue gesellschaftliche Zukunft sucht. 1,7 bis 2,2 Millionen Kambodschaner sind nach offiziellen Schätzungen der Gewaltherrschaft der Roten Khmer zum Opfer gefallen. Der Riss zieht sich bis heute tief durch die Bevölkerung, auch wenn das Land offiziell den Weg des Vergessens gewählt hat.

Eine Stadt im Aufbruch

Es herrscht Aufbruchsstimmung und jeder will davon profitieren. Auch wenn es leider allzu oft die alten Seilschaften sind, die darüber bestimmen, wer auf dieser Welle oben oder unten schwimmt. Da sind die vielen Expats und Glücksritter, die nur kurze Zeit nach den weißen Land Rovern der United Nations ins Land strömten. Die Regierungsmitarbeiter, die auch heute noch relevante Posten bekleiden und so gar nicht unschuldig an der tragischen Vergangenheit sind. Aber auch die vielen Kambodschaner, die nicht zurückblicken wollen, sondern mit beiden Händen nach der neuen Chance greifen, die sich ihnen eröffnet. Und dann ist da noch diese unglaublich tief gehende Seele des Landes und seiner Menschen, die auch viele Jahrzehnte Kolonialismus und Unrechtsregime nicht zerstören konnte.

Erleben kann man diese, wenn man in die Gassen und Winkel der Stadt eintaucht. Sich einlässt, auf die Menschen und ihre Geschichten. Das ist für Touristen nicht immer einfach. Den Lonely Planet zur Hand, landen letztendlich alle an den gleichen Orten. So muss das nicht sein. Es hilft, sich mit Menschen zu verbinden, die die Stadt aus einem ganz anderen Blickwinkel kennen.

Unterwegs mit einem Local

Michael Klinkhamer ist einer von ihnen. Der Fotograf, Journalist und Weltreisende ist vor vielen Jahren hier hängengeblieben. Besuchern „seine“ Stadt zu zeigen, begeistert ihn. Und er führt sie in Ecken, in denen der normale Tourist niemals vorbeikommt. Seine Cambodia Photo Tours widmen sich dabei nicht in erster Linien der Fototechnik, obwohl man auch dazu viel Wissenswertes von ihm lernen kann. Vor allem aber bemüht er sich, Reisenden sein Kambodscha zu zeigen und teilt gerne die Orte und Momente, die in keinem Reiseführer stehen.

Wer Michael trifft, der ist zunächst gespannt. Ein paar Emails, ein Treffpunkt, neugierige Blicke und dann der gemeinsame Start. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt werden links liegen gelassen. Man sucht keine Paläste, man sucht das Persönliche, das Besondere, das Herz Phnom Penhs.

Die andere Seite Phnom Penhs

Vielleicht liegt es sogar am anderen Ufer des Tonle Sap. Die rostige Fähre lässt das chaotische Gewusel der Innenstadt hinter sich und bricht auf in ein anderes Phnom Penh. Nicht dicke SUVs und Verkehrsgetümmel beherrschen hier das Bild, sondern einfache Hütten und staubige Wege. Das hier ist nicht pittoresk, es ist bittere Realität der vietnamesischen Minderheit, die im Großraum Phnom Penh lebt. In einfachen Hütten hausen sie direkt über dem Wasser, die nächste Flut so gut es geht vorausschauend im Blick.

Wir folgen dem sandigen Pfad durch das Dorf. Interessiert schauen die Menschen auf meine Kamera. Dann  stellen sie sich stolz in Pose und setzten ihr breitestes Lächeln auf. Der anschließenden Blick auf das Display, weckt peinlich berührtes Kichern. Für Eitelkeiten bietet der tägliche Überlebenskampf wenig Raum.

Ein kleines Mädchen im lila Kleid, bildhübsch, schmiegt sich skeptisch an seine Großmutter. Ihre riesigen, runden Augen blicken unverwandt in die Kamera. Gemeinsam sitzen sie zwischen Dreck und Unrat vor ihrer Hütte. Im Hintergrund döst der Vater, offensichtlich berauscht von Alkohol oder Drogen, in bizarrer Haltung auf einer Matte. Die tiefen Falten und der verlebte Ausdruck, die sich in das Gesicht der Großmutter eingegraben haben, lassen ahnen, was das Leben hier mit den Menschen macht. Der Blick des Mädchens wird mich noch lange verfolgen. Wie ihre Zukunft wohl aussehen mag?

Ins Hinterland Phnom Penhs

Vorbei an Lotusfeldern geht die Fahrt mit dem Tuk-Tuk, tief ins Hinterland der Provinz. Im Urwald eines Tempelgeländes treffen wir auf ein Kind, das uns lachend bedeutet ihm zu folgen. Es führt uns zu Vater und Bruder, die über und über mit lehmig-roter Erde bedeckt gerade dabei sind, eine Grabstelle auszuheben. Anscheinend hat das ganze eher Festcharakter. Die Freude über die unerwarteten Besucher ist jedenfalls groß. Entzückt bleckt die Großmutter ihre vom Betel kauen dunkelrot verfärbten Zähne und stürzt sich auf unsere Tochter, begeistert von den blauen Augen. Ich muss lächeln als ich meiner Großen ansehe, wie sie den Wunsch – entsetzt zurückzuweichen – niederringt und stattdessen freundlich standhält, während die Alte ihr vertrauensvoll in die Wangen kneift.

Weiter geht es zum nächsten Tempel. Davon gibt es hier unzählige. Gottlose Zeiten,  rufen dien Götter auf den Plan. Nur Sekunden nach unserer Ankunft im nächsten Tempel, sind wir von jungen Novizen in ihren orangefarbenen Roben umgeben. Was sie von uns wollen wird klar, als ein Fahrrad auftaucht, das Speiseeis aus einem Anhänger verkauft. Kinder sind eben Kinder, auch mit geschorenem Kopf und Mönchsrobe. Eigentlich gilt im Kloster ab mittags die Fastenzeit. Aber bei 40 Grad im Schatten schauen die älteren Mönche wohlwollend weg, während die Jungen sich giggelnd mit ihrem Eis um die Ecke verziehen.

Wenn die Nacht erwacht

Zurück auf der Fähre. Lachend wirft der Schiffer den Dieselmotor an. Der blubbert erst leise, erwacht dann rasselnd und hustend zum Leben, spuckt blaue Wolken aus, und langsam verschwinden die Hütten hinter uns am Ufer. Eine Frau verkauft Snacks an die wenigen Passagiere, ein vermeintlicher Geschäftsmann, die Knöpfe des blauen Hemds über dem gewölbten Bauch zum Zerreißen gespannt, spricht unentwegt aufgeregt in sein Handy. Fischerboote gleiten vorbei. Kinder winken. Und während die untergehende Abendsonne alles in ein goldgelbes Licht taucht, wird jeder plötzlich ganz ruhig, auch die Kinder.

Je näher wir kommen, desto intensiver ist der Geruch der Stadt. Eine Mischung aus Staub, Abgasen, Müll und dem Duft der Garküchen. Die Stille wird nur vom aufgeregten Gegacker der Hühner und dem monotonen Blubbern des Motors übertönt.

Über Phnom Penh bricht der Abend herein. Der Himmel färbt sich erst orange und später indigoblau. Darunter schießen unruhig die flackernden Lichter der Mopeds, Autos und Rikshaws vorbei. Hupen, Motorgedröhn und laute Popmusik dringend von weit her, wie unter einer Glasglocke über das Wasser. Phnom Penh schüttelt die Hitze des Tages ab und erwacht zu seinem nächtlichen Tanz. Und der ganze rohe Charme dieser Stadt entlädt sich in einem einzigen Moment, den man nie wieder missen möchte.

>> Hoteltipp

Unser absoluter Favorit in Phnom Penh ist das White Mansion Boutique Hotel. Hier herzukommen, fühlt sich jedes Mal wie nach Haus kommen an. Alle Winkel des wunderschön renovierten Kolonialbaus atmen Geschichte. Bis zur Machtergreifung der Roten Khmer residierte hier der US-Botschafter. Die Zimmer sind ausgesprochen großzügig und geschmackvoll eingerichtet. Ein kleiner Pool bietet nach einem anstrengenden Tag in der Stadt Abkühlung und Entspannung und der moderate Zimmerpreis beinhaltet auf Wunsch auch ein fantastisches Frühstück mit Backwaren, die in Kambodscha ihresgleichen suchen und das morgens in der stilvollen in im Haus befindlichen französischen Bäckerei Eric Kayser serviert wird.

>> Nicht verpassen

Der Phsar Thmei, der Zentralmarkt Phnom Penhs, ist sicher nichts für schwache Mägen und auch dem überzeugtesten Fleischesser wird hier manchmal ein bisschen anders. Ein Besuch dort ist dennoch ein absolutes Muss. Elektrisch betriebene Kühlanlagen gibt es hier nicht. Fische, Fleisch und gehäutete Frösche stapeln sich in der Hitze. Im Sekundentakt werden daher große Eisblöcke angeliefert, mit Haken in rostige Shredder verfrachtet und das so zerkleinerte Eis auf den Waren verteilt.



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